La Loire à Vélo

Anstrengend ist die erste Steigung. Zu viel für Babsis Hollandrad. Zu viel für Ihre Beine. Sie wollen das Gewicht von Fahrrad, Finn und ihr selbst nicht hinauftragen. Es ist einfach zu steil. Fünfhundert Meter, keine große Distanz aber die Schwerkraft arbeitet einfach gegen sie. Heute versuche ich es. Kurz bevor es bergauf geht tauschen wir die Räder. Ich mit Finn, vorne am Lenker, auf dem, für mich, viel zu niedrig eingestellten Damenrad. Aufsteigen ist ein wahrer Genuss. Das Bein vorne drüber und schon sitzt man wie auf einem Lowrider mit Baby-Kühlerfigur. 

Babsi muss hingegen mit einem Jean-Claude-Van-Damme-Nasenbrecher-Fußkick versuchen das Bein über die Gepäckträgerkiste meines Rades zu hiefen um sich gleichzeitig auf den Sitz zu setzen während das Fahrrad langsam rollt. Ich sehe alles nur noch aus dem Augenwinkel und muss schmunzeln. Finn lacht und merkt wohl welche Energie sich unter ihm entlädt. Meine Beine arbeiten wie eine Dampflokomotive, schnell und kraftvoll. Kurze kreisende Bewegungen, ausstrecken unmöglich.

Mein Versuch scheitert bei dreihundert Meter. Gestern war das doch noch kürzer, oder nicht? Ich muss absteigen und schieben. Kein Sauerstoff will mehr in meine unteren Gliedmassen gelangen. Viel zu sehr ringe ich nach Luft. Mein Herz pocht, als wolle es meiner Brust entfliehen. Die Lunge brennt und es schmeckt eisern. Ein kleiner Beigeschmack von Blut mischt sich zum übrig gebliebenen Speichel. Zu schnell hatte ich gestartet. Zu übereifrig. Musste es mir selbst beweisen was für ein Kerl ich doch bin. Ein dreihundert Meter Kerl.

Oben treffen wir uns. Langsam finde ich zu Atem und wir können wieder tauschen. Acht Gänge gegen drei. Was für ein Luxus. Bis Amboise ist es nicht weit und wir machen uns langsam auf den Weg. Die Route 47, gekennzeichnet mit „la Loire à Vélo“, führt uns durch etliche kleine, wie ausgestorben wirkende, Dörfer. Eine Landschaft, die geprägt ist von Weinreben, Strohballen und Bauernhöfen. Ruhig und freundlich. Menschen, die unseren Weg kreuzen schenken einem ein Lächeln gefolgt von einem höflichen „Bonjour“. Kein Geiz, den Mund zu öffnen. Was für eine unglaublich nette Art Guten Tag zu sagen.

Die Sonne steht hoch am Himmel, so hoch sie es noch schafft, als wir Amboise erreichen. Der Weg führt wieder hinunter. Hinunter zur Loire, hinunter in die Stadt. Des Chateau Royal wegen war es mein Vorschlag gewesen hier her zu kommen. Doch es sind die kleinen Gassen, Straßen um das Schloss, die uns einladen durch sie hindurch zu spazieren. Die netten, kleinen, windschiefen Häuser drängen sich überall in der Stadt in die Reihen der Gebäude. Als müssten sie von ihren Nachbarn gehalten werden. Geknickt stehen sie da, lehnen sich aneinander und wirken gezeichnet durch die Jahrhunderte.

Finn schläft. Seine Füße schauen unten aus der Trage raus und hängen entspannt an Babsis Hüften herunter. Im Rhythmus schwingen sie langsam hin und her, stets gleichbleibend zu jedem einzelnen Schritt der tragenden Mutter. Während Babsi voller Ruhe und Gelassenheit dahin schlendert, bin ich meist einige Meter hinter ihr und versuche den einen oder anderen Moment, für uns, einzufangen und festzuhalten. Die Stadt, die Eindrücke, die Farben zu verewigen. Auf wenige Megabyte Datengröße zu reduzieren.

Finn schläft tief und lang. Erschöpft wirkte er als wir ankamen. Man hätte meinen können er hätte uns den weiten Weg hierher gebracht. Er hätte den Berg bezwungen und seine Energie in einem Anflug von Ehrgeiz regelrecht vaporisiert. 

Langsam macht sich der Hunger bemerkbar. Fast Gleichzeitig verspüren wir das Gefühl eines leeren Magens. Gleichzeitig der selbe Blick, der gleiche Gedanke, lass uns ein nettes Lokal suchen.

La Creperie steht über dem Eingang und es scheint gut besucht. Der Garten, der sich durch typisch runde, weiße Bistro-Tische mit je zwei passenden Stühlen über den Gehweg erstreckt ist sonnenüberflutet. An einem Tisch versucht ein Kameramann zwei Herrschaften ins rechte Licht zu rücken, während die Tonfrau gedankenversunken daneben steht und ihn tun lässt. Ein älteres Pärchen hüllt sich in Schweigen und genießt ihren Kaffee mit dem Blick von einander abgewendet. Zwei junge Männer erfreuen sich rauchend an einem kühlen Bier und verhüllen ihre Augen im Schatten ihrer Baseballkappen.

Wir gehen hinein. Die Kamera hat uns verscheucht. Raus aus dem Spotlight, rein in die Creperie. Wie Statisten sitzen wir uns auf dem kleinen Tisch gegenüber, beschäftigt mit uns selbst, der Blick gerade aus, vertieft in ein Gespräch. Die Karte brauchen wir nicht lange studieren. Schon auf dem Weg hinein, vor dem Setzen, haben wir uns entschieden was wir wollen. Getrieben vom grummelnden Wolf unter der Brust bestellen wir: „Bonjour, une bière, une eau et duex omelettes, s’il vous plaît“.

Die Sonne steht tief und kitzelt die Spitzen der umliegenden Dächer. Die Schatten breiten sich auch auf den, sonst so sonnenverwöhnten, Garten aus. Die ersten Tische haben ihr Leuchten verloren und stehen einsam im Dunkeln. Zeit für uns die Rückreise anzutreten. Fünfzehn Kilometer entlang der Route 47 mit Höhen und Tiefen. Einmal noch hinauf, alle Kräfte sammeln und die Steigung überwinden. Diesmal gelingt es. Der Treibstoff hatte gefehlt, das Omelette geholfen. Das Selbstbewusstsein ist wieder hergestellt. Das innere, stolze Lächeln zurück.

So radeln wir, gestärkt und ausgeruht, in gemächlicher Geschwindigkeit erneut vorbei an den Feldern, Reben und Höfen aus der Richtung, aus der wir gekommen sind. Über uns eine Scharr Heißluftballons, die auf uns herabblicken. Wir winken doch sie scheinen zu hoch zu sein. Es treibt uns in die selbe Richtung, wir folgen ihnen entlang der Loire zurück nach Mosnes.