¡ocho kilos máximo!

Der Minutenzeiger macht gerade den Sprung über die Tankanzeige und steht jetzt auf der Sieben, ohne dass man die Zahl darunter erkennen kann. Einundzwanzig Uhr fünfunddreißig. Der Nebel hat sich über Santiago de Compostela gelegt und lässt die teilweise schäbig anmutenden Häuser, außerhalb der Altstadt, noch schäbiger und düsterer wirken. Hier drinnen erhellt mir das leichte Licht unseres Sonnenglases die Fahrerkabine. Babsi hat sich gerade zu Finn gelegt und ich sitze, mit dem Laptop am Schoss, auf dem Sitz hinter dem Lenkrad, gedreht Richtung Innenraum, und versuche etwas Sinnvolles zu schreiben. Ich denke über die letzten zehn Tage in Spanien nach, über die Orte und die Natur, die uns zu Teil wurden und die Menschen, die wir getroffen haben. Doch meine Gedanken bleiben in Bilbao hängen, die erste Station nachdem wir Frankreich verlassen hatten.

Der Campingplatz, kurz vor den Toren Bilbaos, liegt auf einem Hügel mit direkten Blick in eine Bucht. Ich parke den Bulli gleich vor der Rezeption, der Schranken ist zu, genau wie auch die Rezeption selbst. Nur ein Zettel rechts neben dem Eingang deutet darauf hin, dass vielleicht doch noch jemand da ist und uns rein lässt. Ein Pfeil zeigt nach rechts auf einen kleinen, roten Knopf, über dem ein Lautsprecher hängt. Ich drücke drauf und eine kratzig Stimme meldet sich mit einem abgehakten „¡Hola!“ Ich verstehe nur wenig und versuche nachzufragen, ob der Platz noch geöffnet ist und ob wir für ein paar Tage stehen bleiben können, doch wir kommen nicht zusammen. Das Letzte, das ich mitbekomme, bevor der Lautsprecher verstummt, ist „please wait a few minutes“. Ich warte also. 

Ein schlaksiger, dünner Kerl kommt den Weg hinauf, sperrt die Tür zur Rezeption auf und winkt mich, in gewohnt freundlich, spanischer Manier, hinein. Er sitzt im Blaumann vor mir und wir erledigen den üblichen Check-In Kram in aller Kürze nebenbei. Mir fällt auf, dass hinter im eine der berühmten Holzkisten aus dem Hause Sacher steht und ich spreche ihn darauf an. Anhand meines deutschen Reisepasses konnte er nicht gleich feststellen, dass wir aus Wien kommen. Seine Freundin sei auch aus Wien und arbeitet seit einigen Jahren in Bilbao. Daher die Sachertorte, ein Geschenk der Schwiegereltern. Wir sprechen über dies und das, über Wien und Bilbao, über Essen und Trinken, über die Dinge, die uns beide Interessieren – Kulinarik. Weder sein Deutsch noch mein Spanisch reichen für Gespräche, die über die Begrüßungsfloskeln hinausreichen, deshalb bleiben wir bei Englisch. Mit einigen kulinarischen Tipps verlasse ich die Rezeption, Babsi wartet schon ungeduldig im Auto und tippt auch ihre imaginäre Uhr als ich zurück komme.

Wir haben die freie Auswahl wo wir uns hinstellen, die Saison ist vorbei und die Plätze leer. Auf einem Stück Grün mit Aussicht, hinunter in die Bucht, stelle ich den Bulli ab. Eine traumhaft schöne Lage auf den ersten Blick, wenn man vergisst, dass die südländischen Sanitäranlagen eher einer Dixie-Außentoilette gleichen. Für siebenundzwanzig Euro und fünfzig Cents, pro Nacht, kommt es uns unerwartet schäbig vor. Erwarte nichts, dann wirst du auch nicht enttäuscht, schreit eine innere Stimme in mir und versucht es hinzunehmen. Wie gewohnt bauen wir auf. Isomatten vor die Fenster, Tisch und Sessel in den Vorgarten, Zeug aus dem Kofferraum in die Fahrerkabine. Viele Handgriffe sind notwendig doch Babsi und ich sind ein eingespieltes Team und im Handumdrehen steht unser 6,4 Quadratmeter großes Zimmer-Küche-Kabinett zum Einzug bereit.

Mit dem kommenden Schlechtwetter haben wir uns abgefunden und so machen wir uns am nächsten Tag mit der richtigen Kleidung am Leib auf den Weg zur U-Bahn um die Stadt zu erkunden. Fünfzehn spanische Minuten zu Fuß wurde mir an der Camping Rezeption gesagt. Als wir nach fünfundzwanzig realen Minuten dort ankommen vermittelt uns eine Angestellte der öffentlichen Verkehrsmittel mit freundlichen aber bestimmten Ton, dass unser Hund zu groß für die U-Bahn ist. „¡Ocho kilos máximo!“ Sie zeigt mit dem Finger auf die Hausregeln, die neben dem Ticketautomaten ausgehängt sind, in denen klar und unmissverständlich, auch auf Englisch, erklärt wird, dass Hunde und Katzen mit mehr als acht Kilo in der Metro nicht willkommen sind. So weit ich das verstehe, müssen selbst die Leichtgewichte auf dem Arm oder in einer Box transportiert werden. Nur nicht den Boden berühren, das Tier könnte dreckig sein. Diskutieren scheint mir sinnlos und so drehen wir um, gehen zurück um Mala nach Hause zu bringen und im Bus zu lassen. Auslauf hatte sie jetzt wohl genug, und wir auch. Dankbar für die kalten Temperaturen sind wir fünfzig Minuten später wieder zurück bei der U-Bahn und machen uns auf den Weg in die Innenstadt. 

Wir sind genervt und hungrig aber nicht genervt weil wir hungrig sind. Bilbao hat mit der Hund-in-der-Metro-Aktion keinen guten Start hingelegt und wir überlegen, ob wir einen der kulinarischen Tipps folgen sollen, um zumindest eines unserer Ärgernisse zu lösen. La Viñja steht auf meinem Stadtplan in gekritzelter Männerhandschrift. „Die besten Pintxos der Stadt gibt es dort“, hat er gesagt, als er mir den Namen des Restaurants aufgeschrieben hat. Und er hatte recht. Das zarte Tunfischfilé, der hauchdünne San José Schinken, der reichlich garnierte Salat, das krosse Weißbrot. Ein kleines aber äußerst leckeres Trostpflaster für die Unannehmlichkeiten des Vormittags. Unser Gemüht erholt sich langsam und wir wandern noch etwas durch die engen Gassen der Altstadt bevor wir wieder hinabsteigen in den Tunnel der Metro. Es passiert uns immer wieder auf unseren Reisen, es gibt Städte, die sollen einfach nicht sein und Bilbao ist sicherlich eine davon. Und so verlassen wir unsere erste spanische Stadt, zwei Tage später, mit gemischten Gefühlen und fahren weiter an der Küste nach Westen Richtung Kantabrien.

Ich muss mich strecken. Der Rücken ist verspannt und mein linker Fuß ist bereits eingeschlafen. Es kribbelt wie verrückt als ich ihn wecken muss, doch es bleibt mir nichts anderes über. Fast zwei ganze Umdrehungen hat der Minutenzeiger hinter sich gebracht, seit dem Babsi ins Bett gegangen ist. Meine Augen sind erschöpft von dem weißen Licht des Monitors und wollen schlafen gehen. Mein Geist leistet keinen Widerspruch. Also gebe ich nach, schreibe die letzten Zeilen nieder bevor ich den Laptop ausschalte, das Licht lösche und mich zu Finn und Babsi unter meine Decke kuschle.