erholsame Nacht

Ich bilde mir ein ich kann sie sehen. Die Furchen, die Augenringe, die uns geschenkt wurden wohin gegen uns Lebensjahre gestohlen wurden. Wie gezeichnet, meine ich, sehen sie aus, unsere Gesichter. Gezeichnet in High Definition, viel zu hochauflösend und deutlich offenbaren sie den Schlaf, der uns fehlt. 

Aber nicht heute. Die Nacht war traumhaft. Finn hatte durchaus akzeptable Intervalle, in denen er uns, um ehrlich zu sein, vorrangig Babsi, mit seiner Anwesenheit beehrte und um das Titti bat. Wenn der kleine Hunger kommt darf man nicht zuwarten, die Uhrzeit spielt da keine Rolle. Babsi erkennt die Signale schon lange bevor ich überhaupt einen klaren Gedanken fassen kann und Finn die erste Rolle zur Seite vollständig ausgeführt hat. Wie in Trance wirkt sie zu dieser Zeit. Einstudiert wirken ihre Bewegungen und Abläufe und so stellte sich Finns Hunger schnell, unkompliziert und vor allem leise wieder ein. Ich drehe mich in der Zwischenzeit wieder dem Kasten zu, vergrabe mein Gesicht in den Polster und gebe nach, wozu die Stille und die Dunkelheit mich einlädt. Zu schlafen. 

Die letzten Nächte waren eher laut. Großstadtlautstärke. Motorräder und Sportwagen, die vor allem zu nächtlichen Zeiten gerne aus der Garage geholt werden um dann wie geisteskrank und offensichtlich blind nicht die richtigen Gänge zum Geräusch des Motors zu finden. Hochjagen um sie dann wieder fallen zu lassen. Man könnte meinen es gebe Menschen, die wären von den Städten extra angestellt worden um den Lärmpegel immer auf dem gleichen Niveau zu halten. Als müsse man den Herzschrittmacher hören, das Pochen wahrnehmen um zu wissen, dass die Stadt noch am Leben ist.

Wie an einem seidenen Faden werde ich langsam aus meinem Traum gezogen. Ein Geräusch, das stetig immer lauter wird. Zuerst nicht zuordenbar, doch mit jedem Ton, jeder Strophe kommt es mir vertrauter vor. „aaaldaaa, aaldaaaa, aaaldaa, …..“ Fast schon gesungen, wirkt es. Monoton und gleichbleibend wie ein Mantra. Etwas berührt mich. Trifft mich mitten ins Gesicht. Es ist feucht und kalt. Plötzlich ist er weg, der seidene Faden. Ich bin zurück. Die Augen sind offen und erblicken einen weiteren Spuckfaden, der sich auf den Weg macht mir zu zeigen wie es wohl in Finns Mundraum schmeckt. Mit beiden Händen auf meiner Brust abgestützt götzt er über mir und singt mit weit aufgerissenen Mund, speicheltriefend vor sich hin.

Kein Laut ist von draußen wahrzunehmen. Nur Stille. Alles spielt sich im Inneren ab. Ein fahles Licht dringt, vorbei an den Isomatten, in den Innenraum und lässt kein Zeitgefühl zu. Ich kneife die Augen zusammen und versuche meiner Uhr zu entlocken wie spät es ist. Kurz vor acht. Perfekt. Mala liegt unter der Bank und macht noch keine Anstalten aufzustehen. Mich drängt es jedoch hinaus, auch wenn es kalt ist. Acht Grad sagt das Thermometer. Passend zur Uhrzeit. Babsi liegt eingemurmelt bis zur Nasenspitze im Bett und beobachtet Finn, wie er einen Body nach dem anderen aus dem Kasten fischt um ihn dann zur Seite zu legen. Keine legende eher eine werfende Bewegung. Ich ziehe mich langsam an. Jogginghose, Wollsocken, Kapuzenpullover. Das sollte reichen, denke ich mir, öffne langsam die Türe und steige hinaus.

Weinfelder bis zum Horizont. Sie werden lediglich durchtrennt von Höfen, an deren Fassaden der Name des Châteaus geschrieben steht. Ruhig ist es noch zwischen den Reben. Die Traktoren sind in den Scheunen versteckt und selbst auf den Stromleitungen vermisse ich das geschäftige Treiben der Vögel. Von drinnen höre ich ein, deckengedämpftes „mach die Tür zu, es ist kalt“ und folge der Anweisung umgehend. Mala hat sich mir angeschlossen nach draußen zu gehen und folgt unbeirrt ihrer Natur. Ich stehe einfach nur da, die Zahnbürste im Mundwinkel und denke in mich hinein.

Ich denke an gestern, an Finns fragenden Gesichtsausdruck als wir ihn mit den zuvor gekauften Gehwagen bekannt machen wollen und er ablehnte. An die Weinverkostung, bei der uns Old Dominique lehrte mit welchen akrobatischen Mund- und Zungenbewegungen wir den Wein am besten im Mund zerlegen, die Aromen freisetzen um ihn anschließend in einen Kübel zu spucken. Aber auch an den Sonnenuntergang, der unser erster gemeinsamer auf dieser Reise sein sollte und somit etwas ganz besonderes war.

Es ist der Morgen nach dem Gestern. Ein ruhiger, ausgeschlafener Morgen. Keine Spur von Falten oder Furchen. Die Lebensjahre scheinen zurück im eigenen Leib und mit einem Gemüht, das die ganze Welt umarmen könnte geht es heute weiter, weiter Richtung Süden, zurück ans Meer.