enttäuschendes Tallinn, bezauberndes Estland

Estland war für uns ein großes Aha-Erlebnis – Aber beginnen wir am Anfang.

Bevor es nach Tallinn gehen sollte, wollten wir uns noch die Inseln Muhu, Saaremaa und Hiiumaa ansehen. Jede Insel hatte ihren eigenen Charme doch wenn man von einer zur nächsten kam war es wie in einem dieser Daumenkinos – nach und nach wurde alles skandinavischer und erinnerte uns immer mehr an unsere Schwedenreise vor einigen Jahren.

Überall Holzhäuser, typisch in rot oder grau gehalten, Schilder auf welchen vor kreuzenden Elchen gewarnt wird und die Sprache, die uns schon sehr an das Finnische erinnerte. Speziell hier merkten wir wie sich langsam Landschaften, Orte, Gebäude und Regionen veränderten. Es war unverkennbar, dass wir auf dem Weg in den hohen Norden sind.

Die ersten Nächte legalen Wildcampens auf Hiiumaa haben nicht nur unsere Geldbörse geschont sondern verschafften uns auch die unglaublichsten Farbspiele während die Sonne unterging. Es war jedes Mal aufs Neue einfach umwerfend und man kann sich daran nicht sattsehen. 

Nach einer Woche Inselhopping waren wir vollkommen entspannt und zur Ruhe gekommen. Das sollte sich mit Tallinn grundlegend ändern. Im Vergleich zu vielen anderen Städten ist uns Tallinn sehr camperuntauglich vorgekommen. Wir hatten uns schon gewundert warum im Reiseführer kein Campingplatz empfohlen wurde – wir könnten auch keinen empfehlen.

Tallinn selber als Stadt hat einen schönen mittelalterlichen Charme. Mehr als Riga und Vilnius zusammen und genau das ist das Problem. Die Tourismus-Branche zuzelt das bis ins Kleinste aus. Überall in der Altstadt laufen Kellner/innen in mittelalterlichen Kleidern herum und versuchen Gäste für ihr Restaurant zu begeistern. Es wirkt wie ein großes, schlecht inszeniertes Schauspiel, das einfach kein Ende nimmt und raubt der Stadt ihren Flair.  

Den Tag hat uns dann ein zufälliger Abstecher in einen Buchladen gerettet. Dort gab es unzählige Bücher verschiedener Genres, in Sprachen aus aller Welt und das Beste daran – allesamt aus zweiter Hand. Auch uraltes Spielzeug, das noch von Omas Kindheit sein könnte und viele mit Liebe und Sorgfalt zusammengetragene Kleinigkeiten waren dort überall zwischen den Büchern feinsäuberlich sortiert und präsentiert. Wir haben gefühlt eine halbe Ewigkeit in dem Geschäft verbracht und uns von all dem Zauber, den dieser Laden einem mit all seinen Schätzen vermittelte, regelrecht berauschen lassen. Natürlich konnten wir ihn nicht ohne einige dieser Bücher verlassen. 

Sobald man sich vom Zentrum entfernt wurde es laut und geschäftig. Hochhäuser, Einkaufszentren und Straßenlärm. 

Was tun? Die Entscheidung zurück am Campingplatz war sprichwörtlich vom Regen in die Traufe. Diskomusik vom anderen Ufer und eine Gruppe besoffener Iren hatten den ganzen Tag getankt und waren bereit die Nacht zum Tag zu machen. Das war uns dann ganz einfach zu viel. Mit dem Heim auf Rädern ist es ein Leichtes den Ort zu wechseln. Niemand sagt einem, dass man bleiben muss. Also nicht raunzen sondern weiterfahren. Auf nach Helsinki.

Wenn wir an Estland zurückdenken, dann definitiv an die wunderbaren Inseln, die Leute, die wir unterwegs getroffen haben und die Sonnenuntergänge, die eine gefühlte Ewigkeit dauerten.